Der Clown und das Glücksschwein
Es war einmal ein Höhlenmensch, der schon viele Jahre
einsam und verlassen in seiner Höhle am Ende des Waldes wohnte. Tagsüber suchte
er sich die notwendige Nahrung zusammen und sprach mit den Tieren des Waldes,
lag faul in der Sonne, baute an seiner Höhle herum und hielt den Wald in
Ordnung, was die Tiere ihm sehr dankten.
Manchmal lag er träge vor
seiner Höhle herum und besah sich die Weite des Himmels. Besonders in
sternenklaren Nächten lag er hier gern und wurde nicht müde, die vielen Sterne
dort oben zu zählen, die so unendlich fern waren und für ihn doch so nah
erschienen.
Dann dachte er an alte
Zeiten zurück, als er diese Traurigkeit noch nicht kannte, sondern das
Gegenteil davon seine Berufung gewesen war. Er war früher einmal Clown gewesen
und hatte alle Menschen zum Lachen gebracht und ganz besonders die Kinder. Und
er hatte sich immer gefreut, wenn die Kinder fröhlich waren.
Besonders gern hatte er mit
seinem Glücksschwein Rosalin zusammen gearbeitet. Rosalin hatte immer eine rote
Schleife um den Hals gehabt und ein Glückskleeblatt aus Marzipan am Ohr. Nie
hatte man Rosalin traurig gesehen. Und wenn Schweine lachen können, dann war
Rosalin sicherlich das fröhlichste Schwein auf der ganzen Welt gewesen.
Immer, wenn der Höhlenmensch
an seine einstige Freundin Rosalin dachte, tat ihm das Herz sehr weh und er
musste manchmal weinen und schnell verdrängte er diese Gedanken an damals, denn
so wie einst würde es ja doch niemals mehr werden.
Und dann bekam er es mit der
Wut zu tun. Wut auf die Regierung und die Menschen des Landes, die damals die
Fröhlichkeit verboten hatten und per Gesetz den Auftritt des Clowns und seines
fröhlichen Glücksschweins verboten hatten.
Rosalin wurde damals
gefangen genommen und ihn selbst verjagte man aus der Stadt und verbot ihm bei
Strafe die Stadt jemals wieder als Clown oder mit einem lachenden Gesicht zu
betreten.
Ja, so war das damals
gewesen. Er war dann lange ziellos umher gewandert und wusste nicht so recht,
was er mit seiner neu gewonnenen Freiheit anfangen sollte, denn: Was war das
Leben ohne Lachen noch wert? Nichts! Gar nichts.
Aber die Jahre vergingen und
wie soll man es schaffen, immer für sich allein fröhlich zu sein? Inzwischen
war er auch einer von den traurigen Gestalten geworden, ohne das er das bewusst
bemerkt hätte. Kein Lachen, keine Rosalin und keine Fröhlichkeit.
Nur tief in seinem Herzen
war ein klitzekleiner Rest dieser Fröhlichkeit geblieben, aber er traute sich
nicht mehr, diese herauszulassen. Wozu auch? Es war ja doch niemand da, mit dem
er seine Fröhlichkeit hätte teilen können. Also konnte sie auch dort bleiben,
wo sie war – tief in seinem Herzen versteckt.
Eines Nachts, es war eine
von diesen sternenklaren Nächten, an denen der Himmel grenzenlos schien, lag
der Höhlenmensch vor seiner Höhle und war sehr, sehr traurig. Tränen standen
ihm in den Augen, ohne das er genau hätte beschreiben können, warum.
Und auf einmal schien es
ihm, als wenn die vielen kleinen Sterne am Himmel sich zu Buchstaben und
Wörtern formierten. Ja, tatsächlich: Da stand in Sternenbuchstaben groß und
leuchtend am Himmel: „Werde wieder der, der du in Wirklichkeit bist!“
Der Höhlenmensch rieb sich
die Augen, denn er dachte, dass er jetzt verrückt geworden ist. Aber als er die
Augen wieder öffnete und zum Sternenhimmel blickte, waren die Sternenbuchstaben
noch immer da. Glauben, was er sah, konnte er jedoch nicht.
Langsam verschwanden die
Worte wieder und der Höhlenmensch versuchte zu vergessen, was er dort oben
meinte, gesehen zu haben, was ihm jedoch nicht ganz gelang. Ständig kreisten
seine Gedanken um diese acht Worte.
„Werde wieder der, der du in
Wirklichkeit bist!“
Die ganze Nacht lag er wach
und dachte über sein Leben nach. Als die Sonne langsam am Horizont aufging,
nahm er sein Bündel und machte sich auf den Weg in die traurige Stadt, die
einstmals die fröhlichste Stadt im ganzen Land gewesen war.
Es musste endlich wieder
etwas gegen die Traurigkeit getan werden und wenn ihm auch keiner helfen
wollte, so wollte er jetzt wenigstens seine Rosalin befreien, um mit ihr wieder
lachen zu können, so wie sie es einst getan hatten.
Am folgenden Tag erreichte
er die traurige Stadt und besah sich all die missmutigen und verhärmten
Gesichter der Menschen. Keiner erkannte den einstigen Clown. Zuviel Zeit war
vergangen – und das war auch gut so.
Er wanderte durch die
Straßen, sah sich zu allen Seiten um, um einen Anhaltspunkt auf das Versteck
von seiner geliebten Rosalin zu bekommen. So kam er auf seinem Weg zu einem
alten Bauernhof. Vor der großen Eingangstüre saß ein altes Ehepaar in der
Sonne. Die müssen sich doch mit Sicherheit an frühere Zeiten erinnern, dachte
der Höhlenmensch und ging auf die beiden zu.
Und in dem Augenblick, als
sich ihre Augen trafen, meinte er, ein Leuchten in den Augen der beiden Alten
zu erblicken. Noch ehe er etwas sagen konnte, sagte der Alte: „Schön, dass du
es nach so vielen Jahren geschafft hast, heimzukehren. Deine Rosalin ist im
Stall und gibt auf die anderen acht. Immer, wenn ein Abgesandter der Regierung in
der Nähe ist, unterrichtet sie die anderen Schweine im Gehorsam. Wenn aber die
Luft rein ist, bringt sie ihnen das Lachen bei. Geh' sie jetzt begrüßen, mein
Sohn!“
Langsam schritt der
Höhlenmensch auf den Stall zu und war sich nicht ganz sicher, was jetzt
geschehen würde. Langsam öffnete er die Stalltür und da lag Rosalin
zusammengekauert und mit traurigen Augen auf dem Boden.
Nachdem er sie einen Moment
lang betrachtet hatte, rief er leise ihren Namen. Rosalin wackelte mit den
Ohren, gerade so, als ob sie sich verhört hätte oder eine Fliege sie kitzelte.
„Rosalin,“ rief er jetzt ein
wenig lauter und da hob sie ihren Kopf etwas an, aber ihr Blick war noch immer
ungläubig.
„Rosalin, ich bin es, dein
Freund, der Clown!“ Und kaum hatte er diese Worte zu Ende gesprochen, sprang
Rosalin auf und kam auf ihn zu gerannt. Sie nahm Anlauf und sprang ihm mit
voller Wucht auf die Arme und beleckte sein Gesicht. Mit dieser Wucht aber
hatte der Clown nicht gerechnet und fiel um und Rosalin genau auf seinen Bauch.
Stumm sahen sie sich einen
Moment in die Augen und dann brach das Lachen aus ihnen heraus und war nicht
mehr zu bremsen. Zu viele Jahre hatten sie das Lachen unterdrückt und waren nun
froh, dass sie es jetzt nicht mehr zu bremsen brauchten.
Lachend und jauchzend,
tanzend und hüpfend umkreisten sie einander und sie jubelten was das Zeug
hielt. Die beiden Alten waren herangekommen und wurden von dem Lachen
angesteckt und konnten sich bald auch nicht mehr bremsen. Und sie lachten und
lachten und lachten und verschwendeten keinen Gedanken mehr daran, dass das
Lachen ja eigentlich verboten war.
Immer mehr Menschen
gesellten sich zu ihnen und keiner konnte sich gegen das Lachen wehren. Bald
lachte die ganze Stadt und auch die Regierung konnte das Lachen nicht mehr
unterdrücken.
So hatte plötzlich die
Regierung ein einsehen und nichts mehr gegen das Lachen einzuwenden. Man ließ
sofort die Gesetze, die das Lachen einst verboten hatten für nichtig erklären
und befahl stattdessen, dass jeder Bürger der Stadt mindestens dreimal täglich
laut lachen müsse.
Die traurige Stadt wurde
bald wieder umgetauft in die fröhliche Stadt und das war einzig und allein der
Verdienst von dem Glücksschwein Rosalin und dem einstigen Clown, die jetzt
beide zu Ehrenbürgern der Stadt erklärt wurden.
copyrights: Gudrun Anders
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